02/28/2019

Best practices

 

Zwei Schulstunden in der Woche – länger sieht Dennis Koch sein Patenkind nicht. Doch die Zeit reicht, um eine Beziehung aufzubauen, die Lehrer aufgrund des straffen Zeitplans nicht bieten können. „Das Dorf von Opa ist kaputt. Da ist Krieg“, hat der Grundschüler mit iranischen Wurzeln dem Lehramtsstudenten etwa erzählt. Neben der Vermittlung von Unterrichtsstoff und der Vertiefung von Sprachkenntnissen will der 31-Jährige auch ein Stück weit emotionale Unterstützung geben. Seit drei Jahren engagiert er sich ehrenamtlich als Lernpate an der Gießener Korczak-Schule. „Es ist ein Vertrauensverhältnis, das da entsteht“, macht Konrektorin Wiebke Becker deutlich.

„Die meisten geflüchteten Kinder landen direkt im Regelunterricht“, erklärt Sander, verantwortlich für das Projekt im Staatlichen Schulamt, im Gespräch mit dem Anzeiger. Deutsche Sprachkenntnisse konnten sie bis dahin kaum sammeln, sodass die betroffenen Schüler auf eine intensivere Betreuung angewiesen sind.

Auch Rentner dabei

Die Idee: Ehrenamtliche sollen diese Kinder unterstützen, sie in den Unterricht begleiten, Arbeitsaufträge erklären oder bei der Hausaufgabenbetreuung helfen. Rund 60 Ehrenamtliche – neben Studierenden auch Rentner – hat die Koordinatorin bislang an Schulen in Stadt und Landkreis vermittelt. Doch „der Bedarf ist deutlich höher“. Sander schätzt, dass bis zu 25 Schulen gerne auf Lernpaten zurückgreifen würden, an 15 Grundschulen sind sie bislang im Einsatz. „Grundschüler kommen meist schnell in die neue Sprache rein“, sagt Sander zu den Hintergründen. „Sie lernen sehr schnell, aber es ist gut, wenn sie dabei zusätzlich unterstützt werden.“
Neben Dennis Koch ist auch Ali Demir Lernpate an der Korczak-Schule. Mit seinem achtjährigen Patenmädchen kann sich der 33-Jährige auch auf Türkisch, der gemeinsamen Muttersprache, unterhalten. „Das tut den Kindern auch mal gut“, sagt Wiebke Becker. Sie erklärt, dass neben den Kindern von Geflüchteten auch viele Schüler aufgrund von arbeitsbedingten Umzügen ihrer Eltern ohne deutsche Sprachkenntnisse im Unterricht landen. Für diese Kinder gebe es zwar zusätzliche Sprachkurse, die Lernpatenschaft sei allerdings „eine gute Ergänzung“ mit „sehr kurzen Wegen“ zwischen Lehrern und Paten.
Lenka Conradt, Lehrerin der beiden Zweitklässler, die von Dennis Koch und Ali Demir unterstützt werden, betont die Wichtigkeit der Eins-zu-Eins-Situation: „Diese intensive Betreuung ist mir als Lehrerin leider nicht möglich.“ Initiatorin Annette Sander stellt klar, dass das Lernpatenprojekt kein Sprachkurs ist. Dennoch ist die Vermittlung von Vokabeln und die Beseitigung unklarer Wörter essenziell. „Wir wollen erreichen, dass die Kinder sich trauen, Deutsch zu sprechen“, formuliert Lenka Conradt als Ziel. Um das zu schaffen, ist mitunter Fingerspitzengefühl gefragt. „Es ist wichtig, etwas über die Lebenswelt des Kindes zu erfahren und einen Interessenschwerpunkt zu finden. Dann kann man leicht neue Vokabeln einfließen lassen“, erklärt Dennis Koch, der als angehender Gymnasiallehrer davon überzeugt ist, dass sich sein Engagement als Lernpate auch in seinem zukünftigen Beruf auszahlen wird.

Origami-Tiere gebastelt

Mit seinen Schützlingen ist er auf unterschiedliche Wege an die fremde Sprache herangetreten. Mal ging es sportlich zu, dann wieder kreativ. „Einen ganzen Zoo an Origami-Tieren“ habe er etwa schon gebastelt, oder Auto-Quartett gespielt. „Es soll bedarfsgerecht ablaufen.“ Ali Demir, der vor seinem Engagement an der Korczak-Schule Pate in einer Intensivklasse war, hat dort einmal ein „gesundes, deutsches Frühstück“ zubereitet. Die Dankbarkeit der Kinder, die sich insbesondere über die große Brotvielfalt gewundert hätten, sei berührend gewesen. Eine lustige Anekdote gibt es dazu ebenfalls zu erzählen: „Ich habe die Kinder gefragt, was Deutsche gerne zum Frühstück trinken.“ Die Antwort kam für den angehenden Grundschullehrer überraschend: „Alkohol natürlich!“ Mitunter muss man in dem Ehrenamt aber auch mit Familienschicksalen umgehen. „Einmal kam ich in die Schule und mein Patenkind war nicht mehr da“, so Demir. „Die Familie war weitergereist, dabei war das Kind gerade einigermaßen angekommen.“
„Das ehrenamtliche Engagement fängt Kinder auf“, ist Wiebke Becker sicher. „Man kann das gar nicht genug wertschätzen.“ Wie Annette Sander betont, sind für die Tätigkeit keine Vorkenntnisse im Schulbetrieb notwendig. Das Staatliche Schulamt berät Lernpaten bei Problemen und bietet neben einem Einführungskurs auch Fortbildungen an. „Man sollte einfach Spaß an der Arbeit mit Kindern haben“, fasst Ali Demir zusammen, „dann bekommt man so viel zurück.“
Dieser Artikel erschien am 25.03.2019 in der Tageszeitung „Gießener Anzeiger“.